PDF-Bücher Vielen Dank für das Leben: Roman, by Sibylle Berg
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Über den Autor und weitere Mitwirkende
Sibylle Berg, geboren in Weimar, lebt heute in Zürich. Sie schreibt Romane, Theaterstücke, Essays und Kolumnen (u.a. für die ›NZZ‹ und für die ›ZEIT‹). Zuletzt erschienen ›Das Unerfreuliche zuerst – Herrengeschichten‹ (2001), ›Ende gut‹ (2004), ›Die Fahrt‹ (2007) und ›Der Mann schläft‹ (2009). 2008 wurde sie mit dem Wolfgang-Koeppen-Preis ausgezeichnet.
Produktinformation
Taschenbuch: 400 Seiten
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft (1. Oktober 2014)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 9783423143417
ISBN-13: 978-3423143417
ASIN: 342314341X
Größe und/oder Gewicht:
12,1 x 2,5 x 19 cm
Durchschnittliche Kundenbewertung:
3.9 von 5 Sternen
54 Kundenrezensionen
Amazon Bestseller-Rang:
Nr. 35.042 in Bücher (Siehe Top 100 in Bücher)
Die Geschichte, um die es geht, ist schnell erzählt. Nicht erst Toto, dem unglücklichen Hermaphroditen, im Vollrausch empfangenen unerwünschten Kind, begegnet die Welt in aller Hässlichkeit und Brutalität. Schon seine Mutter ging vor die Hunde. Ohne alle Aussichten im Museum tätig, meldet sie sich, schon dem Alkohol verfallen, zur Altenpflege. Was sie sieht und wie sie selber lebt ist sozialistischer Alltag, der nicht mehr zu unterbieten und nur mit Alkohol erträglich ist. Krankenhaus, Geburt, anschließendes Aufklärungsgespräch des Arztes über das Zwittergeschlecht des Kindes, Heimkehr nach Hause, wo niemand auf sie wartet, Mitnahme des Kindes auf ihrer Pflegetour und Mutter-Kind-Beziehung sind von einer Tristesse und fatalen Zwangsläufigkeit, die mehr als bedrückend ist und nichts Gutes verspricht. Die Mutter-Kind-Beziehung hat noch nicht einmal mit dem Minimum dessen zu tun, was man gemeinhin erwartet. Es ist pure Ratlosigkeit und Sprachlosigkeit, die allenfalls im Rausch probeweise etwas aufkommen lässt, was Muttergefühlen ähnelt. Die Mutter ist überfordert, vor allen Dingen auch durch die „Unnatur“ ihres Kindes. Toto kommt ins Heim. Wenige Jahre später erstickt seine Mutter an einem Makrelenbissen. Totos Wege ähneln entfernt dem naiven Durch-die-Welt-Stolpern des Grimmelshausenschen Simplicius. Zum Schluss endet er in einem in die Zukunft konstruierten, posthistorischen Paris, in dem die touristischen Asiaten mit den Europäern die Rollen getauscht haben und das pittoreske Elend der verarmten einheimischen Franzosen fotografieren und bestaunen. Die Einheimischen sind aber in Wirklichkeit als Franzosen verkleidete Osteuropäer. Man sieht – die Houellebecqsche Phantasie wird überboten. Toto, der zu einem unförmig-eunuchenhaften Wesen mit transvestitenhaften Gesichtszügen heranwächst ist die Güte, Milde und Willenlosigkeit in Person. Sich zu wehren, ist ihm unmöglich. So zieht er alles Hässliche und Brutale seiner Umgebung auf sich. Er wird misshandelt, herumgestoßen, verspottet und mit Abscheu gemieden. Kasimir, ein teuflischer Gegenpart, bereitet Totos Zerstörung vor. Der Sadomasochist, selber seiner sexuellen Identität nicht sicher, zieht im Hintergrund die Fäden, veranlasst die Implantation eines letztlich Leukämie auslösenden, radioaktiven Stents und demütigt ihn am Ende einer Liebesaffaire tief. (Toto hat inzwischen operativ ein weibliches Genitale erhalten). Diese einzige Liebeserfahrung wird durch Kasimirs Verrat – er behauptet, ihm nur in sadistischer Absicht Liebe vorgegaukelt zu haben – in fürchterlicher Weise entwertet. Toto macht unbeirrbar seinen Weg durch dieses Inferno. „Und weiter“ sind viele Kapitel überschrieben. Zwei Gaben hat Toto außer seiner fatalen Passivität. Er kann Trost, caritative Zuwendung geben, die ihm nicht immer gedankt wird und er hat eine durch seine Zwischengeschlechtlichkeit geprägte, traumhaft schöne und melancholische Kastratenstimme. Die geht zwar den meisten Zuhörern zu Herzen, löst aber gleichzeitig auch Befremden und Distanz aus. Was wird in diesem Roman verhandelt? Welchen fiktionalen Personen und Szenarien wird Leben eingehaucht ? Da ist einmal die Geschichte eines Opfers, eines anpassungswilligen, gutmütigen Unbeholfenen, der nichts mehr will als sich unauffällig einfügen in den Lauf der Welt und nur Häme, Grausamkeit und Ablehnung erfährt. Das Verhängnis der reinen Seele. Wo ohne Befürchtung von Gegenwehr erniedrigt und geprügelt werden kann, da wird es. Was hilft dem engelgleichen Toto das Wissen um die Armseligkeit und das Elend der Peiniger. Einem scheinbar ewigen Gesetz zufolge spüren die Gewalttätigen und Übergriffigen sich wenigstens flüchtig und notdürftig erst im Blut und den Schmerzen der Gepeinigten. Diese Totogeschichte, die Ausssichtslosigkeit des lächelnden „Fleischberges“ist anrührend, obwohl seine Gestalt wenig Kontur erhält. Er wirkt prototypisch. Vielleicht wie ein Engel. Das führt zur spirituell-religiösen Dimension. Toto der Schmerzensmann, der geschundene Prophet, der Nachfolger Jesu? Eine dritte und oft dominierende Dimension ist die Rolle Totos als Spiegel einer perversen, mißgestalteten Welt. Der Hermaphrodit, das Monster, legt in der „normalen“ Weltnur Monströses frei. Das ist die bittere Ironie des Romans. Der politisch-sozialkritische und kulturkritische Strom der Erzählung ist Orginalton Sibylle Berg. Er reißt nie ab. Die Ausführung ist virtuos und die Brillianz und coole Beiläufigkeit der hingerotzten, rasiermessescharfen Sozialsatire ist ein destruktives Feuerwerk ohnegleichen. Alles muss raus. Niemand und nichts wird geschont. Ob in kurzer essayistischer Form abgewatscht wird oder verdichtet in immer wieder neuen Aphorismen. Diese Ausnahmebegabung der Autorin droht sich zu verselbstständigen und ist auch eine Last für die Erzählung. Nebenbei wirft sie die Frage nach der Rolle und dem Sinn einer solchen Fundamentalopposition auf. Sie wirkt weniger organisch und notwendig als etwa die ähnlich überkritischen Perspektiven Elfriede Jelineks oder Thomas Bernhards. Was dort Literatur ist und von der erzählten Geschichte nicht zu trennen, wirkt bei Berg manchmal wie ein Nebenschauplatz, ein neben der Erzählung laufendes, hochkarätiges, politisches Kabaret, das weder Freund noch Feind schont. Zu Anfang scheint die abschätzig-sarkastische Milieuschilderung im Dienst der Geschichte zu stehen. Kreissaalatmosphäre, alkoholisierte Pflegetour, später das sozialistische Kinderheim, all das entsteht plastisch vor unserem Auge. Später mehren sich essayistischen Exkurse und saftigen Sentenzen. Daß es auch gegen den Westen geht, ist gerecht und berechtigt. Der Kapitalismus hat ja einiges zu bieten. Diese dritte Dimension des Romans, die schonungslose Sozialkritik und Bestandsaufnahme einer durchgeknallten Moderne ist so zutreffend wie geistreich. Durch ihre völlig gleichmäßige Ausbreitung über alle, aber auch alle Formen sozialer Organisation und sozialen Lebens macht sie sich angreifbar. Kulturkritik und Misanthropie laufen Gefahr zum Stilmittel und Markenzeichen zu degenerieren und die Erzählung zu schwächen.Das hindert nicht, dass Sibylle Berg Formulierungen und Ausleuchtungen gelingen, die einen sprachlos machen. Ein paar Beispiele:1 „Vielleicht gibt es einen Vorrat an Mitgefühl, mit dem ein Mensch, wenn er unter gesunden Bedingungen aufwächst, ausgestattet ist. Und der war doch aufgebraucht bei den meisten. Jede Woche gibt es etwas zu trauern, ein Zugunglück, einen Flugzeugabsturz, eine havarierte Bohrinsel, ein Erdbeben, eine Hitze oder Kältewelle, einen Amoklauf, irgendwo auf der Welt, und in der Nachbarschaft eine Entmietung, eine obdachlose Kleinfamilie, ein Krebsleiden, das wohl nicht gut behandelt wird, wer soll da nachkommen, soviel kann doch keiner wegtrauern“.2 „Am morgen wurden dressierte Katzen ausgesetzt, die den totrenovierten Straßen etwas Leben einhauchen sollten“3 „….in einer Theater-Arbeitsgemeinschaft geübt, so einer, die es früher gab, als die Menschen noch mit eigener Hand Freizeit zu beseitigen hatten.“4 „Die neue Wohnung befand sich in einem Block, der aussah wie ein unbegabtes Kind ein Haus malen würde, wenn es keine Lust hatte, ein Haus zu malen“.Letzteres sollten sich Städteplaner und Mitglieder des städtischen Baukunstrates auf ihr Mousepad drucken.Insgesamt ein Buch mit Brüchen. Aber man muss ja auch nicht alles ein- und zuordnen. Das ist ja das Thema des Buches. In einer Welt, in der immer mehr eingenordet, erfasst, verwertet, investiert und strukturiert wird, kracht es und irgendwann treten Risse auf. Der militante Anteil der Autorin hat hier gezielte Sprengungen vorgenommen, der friedfertige eine Art Hintertreppen-Gandhi in der Person Totos geschaffen.„Vielen Dank für das Leben“ hinterlässt einem ein Buchgeschenk, für das man sich schon einmal bedanken kann. Was es einem bedeutet und ob und wie man es in seinem Leben brauchen kann, wird man wie bei manchen Geschenken später sehen. Übersehen geht nicht.
Sibylle Berg hat recht aber es tut weh. Nach der Lektüre ging es mir mehrere Wochen schlecht. Das Buch zieht sehr runter. Aber es ist wichtig, dass jemand solche Dinge aufschreibt, auch überzogen. Damit man mal merkt in was für einer Welt wir leben.
Toto ist ein Hermaphrodith, der von seiner Umwelt mit Abscheu aufgenommen wird. Dabei ist dieser Mensch bis zur Unerträglichkeit gut. Toto wird in der DDR geboren und wächst dort in einem Waisenhaus auf, wo er/sie ständig misshandelt wird. Er wird bis zum Ende eines langen Lebens misshandelt, ohne dass er sich jemals zur Wehr setzt. Fast zufällig wird er in die Bundesrepublik geschmuggelt, um mit kurzen Unterbrechungen seinen Leidensweg weitergeht.Sybille Berg beschreibt das mit distanzierter Ironie, ihr Stil ist äußerst fantasievoll.Das anrührende Buch hat nur einen Fehler: Wer als absolut guter Mensch geboren wird, entwickelt sich nicht weiter.So stellt sich beim Leser etwa nach der Hälfte des Romans eine gewisse Verdrossenheit ein. Die vielen kleinen Schurken, denen Toto begegnet, sind seiner/ihrer Güte zwar nicht gewachsen, aber eigentlich sind sie die interessanteren Menschen.Weil ich den Verdacht habe, dass dieser Eindruck von der Autorin eigentlich nicht gewollt ist, kann ich nur vier Sterne geben, aber ich kann diese Lektüre guten Gewissens jedem empfehlen.
wieder hat Frau Berg ein großartiges Buch geschrieben. Und unsere Gesellschaft weiter gedacht. Keine schöne Vorstellung, aber, wie zu befürchten steht, wahr. Gerade will die EU dünne und Menthol-Zigaretten verbieten; ich habe sofort wieder an diesen Roman denken müssen. Einige wenige werden für uns unser Leben regeln und wir müssen es nur noch bewohnen. Was für eine armselige Welt erwartet uns und vor allem: was für eine armselige Welt umgibt uns schon jetzt?Wie immer haust Frau Berg durch ihren großen Wortschatz und zündet zwischendurch durchaus humorige Bomben, die einen laut auflachen lassen. Und was viele als zynisch bezeichnen, würde ich einfach realistisch nennen.Wer Frau Bergs Bücher mag, MUSS dieses Buch lesen und MUSS es mögen.
Nur dieses Buch schafft es in meinen Augen, unsere Welt des Konsums, der Vereinheitlichung, der Gleichschaltung leicht wie im Vorbeigehen, dennoch scharf und knallhart zu beschreiben. Ich verneige mich vor der Autorin... wunderbare Gesellschaftskritik mit Punch voll in die Fresse!
Das Buch hat mir den Urlaub noch wertvoller gemacht. Einerseits hat es mich sehr trauriggemacht, aber auch nachdenklicher. Manchmal hatte ich das Bedürfnis, Toto zu beschützen-Es ist "nur" ein Buch, aber es hat bei mir viel hinterlassen. Es ist das erste Buch von SiibylleleBerg, was ist gelesen habe, es wird von ihr nicht das letzte sein.
Messerscharf und und leider zu wahr. Selten so treffend und brutale Aufarbeitung des Lebens und Gesellschaft. Sein eigenes, nichtiges Dasein wir einem wie ein nasses Handtuch ins Gesicht geschlagen. Nichts für zarte Gemüter.
von Anfang bis Ende überraschend, sowohl inhaltlich als auch vom direkten Schreibstil,und obwohl so direkt und ungeschönt: alles richtig
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